1986

Das Jahr, in dem ich 10 Jahre alt werden sollte. Es kommt mir vor wie gestern. Vermutlich, weil so viel passierte und ich mich noch ziemlich genau an alles erinnere.

Meine Erzeugerin hatte die Scheidung eingereicht. Zuvor war sie jedoch mit mir zu ihren Eltern geflüchtet. Ich erzählte, wie sehr ich mich darauf freute endlich zweistellig zu werden. Daran sei doch nichts Gutes, sagte die Mutter meiner Erzeugerin. Ich jedoch dachte mir:”Nur noch 8 verdammte Jahre. Dann kannst du endlich dein Leben leben wie du willst!” Denn meine Kindheit war die verdammte Hölle.

9.1. – An einem Tag kurz vor den Herbstferien 1985 wurde uns eine Geschichte vorgelesen. Wir durften nebenbei Malen. Also holte auch ich meinen Zeichenblock aus der Tasche. Während die anderen Kinder sich einen Dreck darum scherten, wie laut sie dies taten, tat ich das auffällig langsam und damit leise. Auch den Reißverschluss meiner Federmappe öffnete ich langsam und leise. Auf mal tönte es:”[Mein Name] RAUS!” Ich fragte, wieso. Weil ich den Unterricht gestört hätte und so laut wäre. Genau aus diesem Grund war ich leise, bzw. versuchte alles so leise wie möglich zu machen. Es war nämlich nicht das erste Mal, das kam immer wieder vor, wenn alle Bücher heraus holen sollten, man die Aufgaben auf Seite x im Mathebuch jetzt lösen sollte o. ä.
Ich erwiderte, dass ich doch extra leise war und sie mich wohl verwechseln müsse. Da stand die auf mal neben mir und zerrte an mir herum. Der Stuhl kippte irgendwann und sie schliff mich regelrecht über dem Boden vor die Tür. Wo ich sehr laut weinte, weil ich einerseits Schmerzen hatte, andererseits aber überhaupt nicht verstand, was da gerade abgelaufen war. Jedoch schaute kein anderer Lehrer heraus oder kam überhaupt vorbei. Ich bin mir sicher, dass man das gehört haben muss und das Weinen andere Klassen störte. Zumal es nicht nur 5 Minuten waren, sondern für den Rest der Stunde, also bestimmt gut 30 Minuten lang, bis es klingelte (eine Schulstunde = 45 Minuten).
Zuhause angekommen hatte ich immer noch Schmerzen und erzählte meiner Erzeugerin vom Vorfall. Sie zog mir Pullover und T-Shirt aus und man sah 5 rote Striemen auf meiner Brust, sowie Prellungen am Oberarm. Sofort fuhr sie mit mir zum Arzt, der alles dokumentierte und die ganze Sache ging zur Schulaufsichtsbehörde.
Netterweise glaubte man dem Arzt und mir nicht. Ich hätte mir das selbst beim Spielen zugezogen oder einer meiner Erzeuger sei dafür verantwortlich. Jeder würde meinen Erzeuger ja als stadtbekannten Alkoholiker kennen, der Frau und Kind verprügelte. Nun wollte man das ihr unterschieben.
Trotzdem erwirkte man, dass ich in die Parallelklasse durfte. Dies war mein erster Schultag dort und es fühlte sich sehr gut an!

Am 24.1. flog Voyager 2 am Uranus vorbei und lieferte zahlreiche Fotos. Ich empfand das vermutlich nicht als ganz so spektakulär, wie es war.

Kurz darauf am 28.1. zerbrach die Raumfähre Challenger. Ich konnte es nicht fassen, als ich es in den Nachrichten sah. Mein Taschengeld ging in der folgenden Zeit für Berichte darüber drauf. Ich weiß noch genau, dass ich auf dem Boden vorm TV saß und meine Erzeugerin hinter mir bügelte. Ich war danach total aufgewühlt. Es war, wegen des Namens, mein Lieblingsshuttle gewesen. Meine Erzeugerin tat das alles als Spinnerei von mir ab. Wie könnte das mein Lieblingsshuttle sein? Ich hätte es doch gerade erst im TV gesehen. Dass ich zahlreiche Bücher zum Thema Raumfahrt und Astronomie hatte, hatte sie wohl vergessen. Auch kannte sie deren Inhalt nicht.

19.2. Die Sowjetunion schießt das Kernmodul der Mir in die Umlaufbahn. Gut 15 Jahre lang ist dies die Raumstation, die in einer Umlaufbahn um die Erde fliegt und auf der Menschen forschen.

März – Wir hatten einen Fahrradwettbewerb in der Schule. In der zweiten Stunde danach fehlte jemandem die Medaille, die er gewonnen hatte. Es war netterweise eine Stunde mit einer Lehrerin, die ich schon in der anderen Klasse hatte und die mich nicht mochte. Ziemlich seltsamer Zufall, dass die Medaille ausgerechnet in dieser Stunde fehlte, sie sofort sagte, ich solle meinen Ranzen auskippen und sich in meinem Ranzen wiederfand. Kein anderes Kind wurde aufgerufen und ich saß ziemlich in der Mitte. Also nicht ganz vorne links/rechts oder ganz hinten links/rechts und sie wäre danach weiter gewandert. Ich wurde von ihr zusammen gefaltet und wusste überhaupt nicht, was los war.
Nach der Stunde wollte ich mit ihr reden und sagte, dass ich das nicht war. Als Antwort bekam ich:”Wir wissen doch alle hier, dass du eine Lügnerin bist! Jeder in der Schule hier weiß das!”
Netterweise habe ich in meinem Leben so gut wie nie gelogen. Allerhöchstens meine Erzeuger angelogen, um ihnen zu sagen, was sie hören wollten. Ala:”Ja, hast recht! Ich bin ein schlimmes Kind, mache alles kaputt und bin zu dumm für alles!” Dann gab es wenigstens keine heftige Prügel, bis ich das endlich sagte. Das musste ich auch sagen, wenn ich es nicht war, also auf mal ein Gerät einfach so kaputt war. Für mich war das lügen. Ich war es nicht, ich war nie schlimm und vor allem war und bin ich nicht dumm. Ansonsten bin ich wirklich ein ehrlicher Mensch.

Der 9.4. war der letzte Osterferientag, an dem ich 10 werden sollte. Ich bekam für meinen C=64 das Diskettenlaufwerk 1541. Dadurch, dass ich am nächsten Tag wieder zur Schule musste, konnte ich nicht viel damit spielen. Mal davon abgesehen, dass ich nur ein einziges Spiel dazu bekommen hatte. Wegen des Geschenks durfte ich den Rechner im Wohnzimmer aufbauen.

Am 10.4. kam ich von der Schule nach Hause. Meine Erzeugerin verspätete sich, denn sie war noch nicht von der Arbeit (Halbtags) nach Hause gekommen. Ich setzte mich an meinen C=64, schaltete alles in der Reihenfolge an, wie es in der Anleitung gestanden hatte, legte die Diskette ein und schrieb LOAD “*”,8,1. Das Laufwerk hörte sich anders an, als am Tag zuvor und es kam nach einiger Zeit die Meldung FILE NOT FOUND. Ich bekam Angst und versuchte es noch mal. Vielleicht hatte ich mich doch nur verschrieben?! Kurz bevor erneut FILE NOT FOUND erschien, kam meine Erzeugerin zur Tür herein. Sie hatte gerade die Tür zugeschlagen, da erzählte ich ihr, dass anscheinend das Diskettenlaufwerk kaputt sei. Sie flippte sofort aus. Genau des wegen hatte ich Angst bekommen. Was mir denn einfiele. Sie hätte mir doch ausdrücklich verboten das Laufwerk zu benutzen, wenn sie nicht da war. Nun hätte ich es kaputt gemacht. Was anderes könne ich ja eh nicht. Nur immer alles sofort kaputt machen. Ich sagte weinend, dass ich alles so angeschaltet hatte, wie in der Anleitung beschrieben, die Diskette eingelegt und den Load Befehl eingegeben hatte. Das interessierte sie jedoch nicht. Ich musste umgehend auf mein Zimmer gehen.
Bis heute habe ich die Reaktion nie verstanden. Erstens war es mein C=64 und mein Geschenk. Zweitens hatte sie mir überhaupt nicht verboten das alleine zu verwenden. Jedoch hatte ich diese Situation häufiger. Ging etwas kaputt, und Geräte können nun mal ihren Geist aufgeben ohne weiteres Zutun, war ich sofort diejenige, die immer alles nur kaputt machte, zu dumm für diese Welt war und überhaupt alles zerstören musste in meiner Wut. (Siehe auch oben) Welche Wut? Ich weiß es doch auch nicht! Lt. ihr würde ich immer sofort bei jeder Kleinigkeit “explodieren” und das Nächstbeste kaputt machen/zerschlagen. Dem war natürlich nie so. Mittlerweile habe ich dafür ein Wort: Gaslighting.

Am 26.4. ereignete sich der Reaktorunfall in Tschernobyl.

Jedoch erst am 28.4. konnte die DPA darüber berichten, da zuerst eine Nachrichtensperre verhängt worden war.
In irgendeiner Nacht regnete es und ab da durften wir nicht mehr auf den Spielplatz der Schule. Dieser war mit einem Sand ausgestreut, wie er in Sandkisten zu finden ist. Der Sand wäre nun verstrahlt.
Was ich daran nicht verstand: Über die Hälfte des Schulplatzes war nicht geteert. Man lief dort über den Mutterboden. Wieso war dieser Sand “gut” und der andere “schlecht”? Man zuckte nur mit den Schultern.

Juni – So kurz vor den Ferien wollte die Klassenlehrerin, dass meine Erzeugerin mal vorbei kommt zum Reden. Ich war auch dabei. Sie sagte, sie könne überhaupt nicht verstehen, wie es zu den ganzen Bewertungen in den vorherigen Zeugnissen gekommen sei. Ich hätte bei ihr niemals den Unterricht gestört, hätte gut folgen können, wäre überhaupt nicht verträumt und verspielt und sie vertrete auch gar nicht die Meinung der Kollegin, dass ich auf eine Sonderschule (heute Förderschule) gehöre. Da ich leider nur ein halbes Jahr bei ihr war, könne sie leider an der ganzen Einschätzung für die Folgeschule usw. nichts mehr ändern.
Danach war ich traurig, dass ich nicht schon von Anfang an in ihrer Klasse war. Aber es zeigte mir auch, dass die vorherige Lehrerin nicht in Ordnung war und nicht ich.
Gut 2 Jahre später sollte ich den Grund erfahren. Die Eltern meiner Erzeugerin waren mit mir in den Herbstferien auf Lanzarote und wieder zurück standen die Eltern meines Erzeugers da und warteten auf uns. Sie würden so irrsinnig gerne mit uns reden, den Zug umbuchen für uns usw. Während wir zu ihnen nach Hause fuhren, fragte die Mutter meines Erzeugers mich:”Möchtest du gerne wissen, wieso du früher immer so viele Probleme in der Schule mit den Noten und Lehrern hattest?” Natürlich wollte ich! Mein Erzeuger hatte anscheinend immer Drohbriefe an die Lehrer geschickt. Über den Inhalt konnte sie mir nichts sagen. Sie wusste nur, dass er Briefe an die Lehrer schrieb, damit meine Schulzeit nicht schön wurde und ich schlechte Noten bekam. Sie vermutete sein eigenes Versagen in der Schule dahinter. Er selbst hätte wohl nicht mal die Hauptschule geschafft.
Mir ist immer noch unbegreiflich, wie das meine Grundschulzeit zur Hölle werden ließ. Aber es erklärte, wieso ich das letzte Halbjahr eine ganz andere Einschätzung bekam und die “neuen” Lehrer alle nett zu mir waren. Auch die nachfolgende Schulzeit war super, als mein Erzeuger ausgezogen war, ich von der Realschule auf die Hauptschule wechselte und schlussendlich jeden einzelnen Schulabschluss bis zum Abi nachholte. Es erklärte aber auch, wieso mein Erzeuger nach jedem ersten Schultag eines neuen Schuljahres fragte:”Und? Wie heißen denn deine Lehrer so?” Den Wechsel in die Parallelklasse hatte er wohl nicht mitbekommen. Zumindest hatte er da überhaupt nicht gefragt, wie denn die Lehrer dort heißen würden. Es war allerdings das zweite Halbjahr und nicht das erste.
Ich weiß, das klingt alles total abwegig und ausgedacht. Aber mein Erzeuger ist leider wirklich sehr seltsam und hat noch so einiges gemacht, das das erklärt, bzw. zeigt, dass es wirklich so gewesen sein muss.

Am 7.8. war mein erster Tag auf der Realschule. Ich war total aufgeregt und fühlte mich Anfangs wohl. Leider schlug es auch hier ziemlich schnell um. Nahmen mich die Lehrer anfangs dran, wurde ich später gar nicht mehr dran genommen, wenn ich mich meldete. Es war, als wäre ich überhaupt nicht existent.

24.12. Das Weihnachten war das letzte Weihnachten, das ich mit meinem Erzeugern zusammen feiern musste. In der Schule hatten wir zur Adventszeit im Kunstunterricht eine dünne Kupferplatte bekommen. Daraus sollten wir ein Reliefbild machen. Ich schenkte meines meiner Erzeugerin. Worauf mein Erzeuger meinte, er sei jetzt aber total traurig, dass er so was nicht von mir bekäme. Meine Antwort war:”In der Schule durften wir nur eines machen und du bist eh bald weg!”, und ich dachte mir dabei:”ZUM GLÜCK!”

31.12. Silvester… Ich hatte so einen Goldregen für Kinder. Das war ein Zylinder mit einem Pulver gefüllt. An der einen Seite eine Reibefläche, auf der anderen versiegelt. Ich rieb die Reibefläche und danach dauerte es etwas, bis es zum Pulver durchgeglüht war. Das danach ziemlich schnell hinaus “zischte” und eben den Goldregen machte. In dieser Zeit des Glühens riss mein Erzeuger mir den Zylinder aus der Hand und drückte ihn mir anders herum wieder in die Hand. Ich war total erschrocken, als er mir das aus der Hand riss, schaffte es aber zu reagieren und wieder umzudrehen. Es war nur sehr kurz etwas an meine Jacke in Brusthöhe gekommen und nichts schlimmeres passiert. Das beschreibt jedoch sehr schön, was er immer für mich wollte. Niemals das Beste, wie “normale” Eltern. Er fands immer toll, wenn ich Schmerzen hatte und half auch das eine oder andere Mal nach. Zum Glück würde das ja ziemlich bald aufhören, dachte ich. Wegen des Trennungsjahres hätte er in eine eigene Wohnung ziehen müssen. Meine Erzeugerin ließ sich allerdings breitschlagen, dass er im Gästezimmer wohnen konnte. Jedoch musste er da nach einiger Zeit raus. Weil er gewalttätig wurde usw.

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