Wie jemand durch das Kalorienzählen Hashmoto erkannte

Ich verstehe Menschen einfach nicht mehr. Da erzählt eine Person von sich und ihren Erfahrungen mit dem Kalorienzählen. Sie spricht dabei von sich. Man soll ja nicht für andere sprechen. Ich mache es gerade auf Wunsch. Vielleicht versteht man es am Ende. Ich kann es nur hoffen.

Es gibt anscheinend Menschen, die andere verurteilen, die Kalorien zählen und/oder über diese Art des Abnehmens reden. Weil es so eine ungesunde Art abzunehmen und man verantwortlich für seine Worte sei. Man könne sich so gar nicht gesund ernähren.
Doch, kann man. Man kann essen wann und was man will. Man zählt lediglich die Kalorien. Entweder möchte man abnehmen, dann isst man ab x Kalorien eben nicht mehr. Es wird empfohlen nicht unter 1200kCal/Tag zu gehen. Alles weitere darunter sei ungesund.
Wenn sich Menschen entscheiden weniger als diese empfohlene Grenze zu essen. Dann entscheiden sie das für sich. Des wegen ist diese Methode doch nicht per se gefährlich für die Gesundheit?!
Wenn er/sie das nicht wusste, dann ist es der Fehler der Person. Sie hat sich schlichtweg nicht informiert. Ändern sich Regeln im Straßenverkehr oder kenne ich eine Regel nicht ist das auch mein Problem. Nicht aber desjenigen, der die Regel gemacht hat. Nur, weil die Polizei mir ein “Knöllchen” aufdrückt.
Unwissenheit schützt halt vor Strafe nicht. Erstrecht ist an der Unwissenheit und/oder falschen Anwendung niemand anderes schuld.
Dieses “Du bist verantwortlich für alles was du sagst!” geht mir eh auf den Senkel auf Twitter. Natürlich bin ich verantwortlich dafür, wenn ich zu Straftaten aufrufe und andere diese durchführen.
Ich bin jedoch nicht dafür verantwortlich, dass Menschen sich in den Tod hungern. Nur, weil ich schrieb, dass ich mit Kalorienzählen 12kg abnahm.
Ich darf ja wohl noch erzählen, dass ich Stolz bin 12kg abgenommen zu haben und wie ich das schaffte. Wenn jemand meint “Geil! Mach ich auch und ess nur noch 100kCal/Tag!” ist das nicht meine Schuld. Denn das habe ich nirgendwo geschrieben. Ich kann auch nicht jeden Menschen auf der Welt kontrollieren, dass er keinen Unfug macht. Diese Menschen sind für ihre Taten, Worte und ihre Lebensweise selbst verantwortlich.

Wie gesagt nahm ich selbst damit 12kg ab. Wenn ich mich recht erinnere. Ohne weitere Probleme innerhalb eines halben Jahres. Ich habe dadurch gelernt was wie viele Kalorien hat und ein Gefühl entwickelt wie viel und was ich an einem Tag essen kann ohne zuzunehmen. Wie hätte ich das mit der Kohlsuppendiät hinbekommen sollen?
Solch Diäten macht man über einen gewissen Zeitraum und viele sind sogar sehr einseitig. Eine einseitige Ernährung über einen langen Zeitraum kann Mangelerscheinungen hervorrufen. Vom Jojo-Effekt möchte ich da gar nicht erst reden. Man verändert ja nur kurzzeitig etwas. Wer kein Gefühl für Kalorien, Fett, Zucker etc hat, der wird danach essen wie zuvor. Damit verbunden wieder zunehmen.
Man kann also auch bei dieser Diät gesundheitlichen Schaden nehmen. Ich habe allerdings nirgendwo gelesen, dass per se gesagt wird, diese Diät sei ungesund oder gar der Redakteur der Frauenzeitschrift XYZ verklagt wurde, weil jemand wegen einer Mangelerscheinung und fehlerhaften Anwendung der Diät im Krankenhaus landete.

Kowalski – meine BFF – hat gestern sehr simpel erklärt, wie das Kalorienzählen auf physikalische Art und Weise funktioniert:
Wenn ich 1500kCal zu mir nehme und 2000kCal verbrenne nehme ich ab.
Esse ich 2000kCal und verbrenne 1500kCal nehme ich zu.
Esse ich 1500kCal und verbrauche 1500kCal bleibt das Gewicht.
Das ist die Theorie.
Natürlich bewege ich mich den einen Tag mehr, sitze den anderen mehr u.a. Es ist ein paar Schwankungen unterlegen. Da liegt es an einem selbst ein Gefühl dafür zu entwickeln. Das habe ich natürlich nicht nach zwei Tagen.
Wer sich nicht damit befassen will, der sollte es lassen oder umgehend aufhören.
Wen Schwankungen verunsichern, der sollte es ebenfalls lassen oder damit aufhören. Aber eigentlich gilt hier der obere Punkt. Man sollte sich fünf Minuten hinsetzen und überlegen, ob man die Woche davor, in der man 1kg abnahm, vielleicht etwas mehr Bewegung hatte oder was sonst anders ist/war. Oder man verbucht es ganz einfach unter “Shit happens”, richtet das Krönchen und macht weiter wie bisher. Hin und wieder fällt es einem dann unter der Dusche wie Schuppen von den Augen oder sonst einem Moment, an dem man gerade an gar nichts denkt.

Zurück zu Kowalski: Sie erzählte auch, dass durch das Kalorienzählen nach 20 Jahren Hashimoto erkannt wurde.
Das zu erklären dauert etwas.
Vor ungefähr 20 Jahren fing ihre Odyssey an. Nach einer kleinen Feier, bei der mit Freunden gemeinsam gekocht wurde, bekam sie Zuhause Herzstolpern und -rasen. Dazu keine Luft. Nach einer halben Stunde bat sie ihren damaligen Freund den Notarzt anzurufen. Der rief jedoch keineswegs die 112, sondern den ärztlichen Notdienst. Der nach ungefähr fünf Stunden eintraf. In der Zwischenzeit hatte sie sich übergeben und der Spuk war etwas vorbei. Nur ihr Kreislauf war noch nicht wieder in Ordnung.
Sie ging am nächsten Morgen zu ihrem Arzt. Da ihr Opa kurz zuvor gestorben war, verbuchte er das unter Angst- und Panikattacken.
Ab diesem Tag hatte sie über 8 Jahre täglich und immer 30-60 Minuten nach dem Essen das Gleiche wie oben beschrieben. Je nach Schwere der Herzprobleme wurde der ärztliche Notdienst gerufen. Niemals die 112. Was man ihr aber erzählte. Das ist allerdings ein anderes Problem. Nur, falls sich jemand fragt warum sie niemals explizit nach der 112 verlangt hätte in dieser langen Zeit. Sie war zudem mehrfach bei ihrem Hausarzt, der immer wieder sagte, das wäre psychisch.

Es kamen weitere Probleme dazu:
Das Gefühl einer Meningitis allerdings fieberlos. (Arzt:”Sie sind ein Hypochonder!”)
Leberprobleme (Arzt:”Lassen Sie das Feierabendbier weg!” K:”Welches?” A:”Ja, mag man dann nicht zugeben, was?”)
Nierenprobleme (Arzt:”Keine Ahnung was das genau ist, das kann aber Krebs werden.”)
Magenschmerzen (Arzt:”Die Magenspiegelung ergab nichts. Psyche!”)
Darmprobleme besonders Verstopfung (Arzt:”Lassen Sie halt Bananen und Schokolade weg.” K:”Esse ich beides nicht!” A:”Ja, das vergisst man gerne.”)
Gewichtszunahme trotz einer einzigen kleinen Mahlzeit am Tag. Sie hatte nicht viel Geld und eine große Dose Ravioli musste für zwei Tage reichen. Das glaubte der Arzt natürlich nicht. Wer in Deutschland muss denn auch so leben? Keiner, nicht wahr? (Achtung, hier in der Gegend könnte sich Herr Sarkasmus verstecken!)

Das sind jetzt die Sachen, an die ich mich erinnern kann. Wie gesagt, ich schreibe das hier für jemand anderen.
Warum sie niemals den Arzt wechselte?
Das tat sie. Mehrfach. Immer wieder wurde nichts gemacht und es gleich auf die Psyche abgeschoben. Oder es wurde ein Blutbild erstellt, das angeblich ohne Auffälligkeiten war. Auf Nachfrage eine Kopie für die eigenen Akten zu bekommen:”Wofür? Damit können Sie doch eh nichts anfangen!” Im Nachhinein ist dieses Verhalten sehr seltsam. Als wäre eben doch etwas gewesen.

2012 zog sie um. Sie hatte sich nach einem Jahr am neuen Wohnort einen neuen Arzt gesucht. Weil sie eine Sehnenscheidenentzündung hatte. Als ihr dieser Arzt ungefähr 2014 in einer anderen Sache sagte, er glaube ihr nicht und kurz darauf gegen eine extreme Entzündung der Mandeln nur Globuli gab (HNO verschrieb tags darauf heftige Antibiotika), war das Vertrauensverhältnis gebrochen. Aus Angst hatte sie eh nichts von ihren ganzen Problemen erzählt. War vermutlich auch ganz gut so.
Übrigens gab es bei ihm ein kleines Blutbild. Bei diesem waren die Leukozythen ziemlich erhöht. Der Wert lag bei 14. Maximum ist 10. Auf ihre Nachfrage:”Och joar. Da hatten Sie an dem Tag wohl Stress. Meine Frau hat das öfter bei den Kindern, die sie behandelt. Sobald die eine Nadel sehen, bekommen die Stress und der Wert ist erhöht.” (Was bin ich froh kein Kind zu haben und dort im Ort zu wohnen!)
Bitte das hier einmal im Hinterkopf behalten. Ich komme gleich darauf zurück.

Wie auch immer. 2015 lernten wir uns kennen. Sie aß nie viel. Erklärte mir aber, dass sie seit einem Jahr auf einmal wieder zunehmen würde. Ende 2016 wog sie 92kg und das bei 1,6m! Sie ging viel wandern. Strecken von 16-20km waren kein Problem für sie. Sie bewegte sich, nahm dennoch innerhalb von 2 Jahren 30kg zu und ohne, dass sie ihre Nahrungsaufnahme oder irgendetwas anderes veränderte. Es war sogar eher so, dass sie mehr in den Urlaub fuhren und damit mehr Bewegung da war.
Ich riet ihr Kalorien zu zählen. Was wir gemeinsam anfingen. Nahm ich ab, tat sich bei ihr nichts. Was ich nicht wusste, dass sie dachte, dass sie sich beim Grundumsatz verrechnet hatte und aus Verzweiflung immer weiter mit der Kalorienaufnahme herunter ging. Bis sie mir eines Tages erzählte:”Ich bin jetzt bei 800kCal/Tag und nehme immer noch zu! Was mach ich denn falsch?” Der Zeitraum betrug ungefähr einen Monat. In dem sie sogar täglich eine Stunde am Morgen spazieren ging. Am Wochenende einen Tag lang die besagten 16-20km. Da konnte etwas nicht stimmen. Das wurde mir sofort klar. Auch, dass 800kCal am Tag viel zu wenig waren um noch gesund zu sein! Ich schickte sie zum Arzt.
Sie wollte nicht. Aufgrund der ganzen Erfahrung und weil – das muss man sich mal vorstellen – die anderen Ärzte im Ort sie wegschickten. Sie solle doch wieder zu dem o. g. Arzt gehen. Ja, der, der ihr nicht glaubte und Globuli gegen übelste Halsschmerzen verschrieb. Auch nicht, nachdem sie erzählte, sie habe kein Vertrauen mehr.

Ihr Mann setzte sich für sie ein und erklärte seiner Ärztin das ganze Problem um den anderen Arzt. Dabei kam heraus, dass die Ärzte untereinander ein Abkommen haben. Keiner klaut dem anderen Patienten.
Fein. Damit kann ein Patient sich dort im Ort keinen neuen Arzt suchen, wenn das Vertrauensverhältnis gebrochen wird oder nach dem ersten Besuch überhaupt nicht zustande kam. Man ist dort gefangen. Natürlich könnte man 25km fahren und im anderen Ort suchen. Das kann doch aber nicht ernsthaft die Lösung sein?! Stellt euch solch ein Abkommen einmal für unsere Millionenstädte in Deutschland vor! Du magst deinen Arzt in Berlin nicht (mehr)? Such dir halt einen außerhalb!

Wie auch immer. Nach unserem Drängen ging sie nun zur Praxis, in der auch ihr Mann Patient war. Man legte ein großes Blutbild an und nahm gleich den TSH mit hinein.
Das Ergebnis war übel. TSH war sechsfach höher, als der erlaubte Höchstwert. Leukozyten weiterhin hoch. Nierenwerte grenzwertig. Leberwerte waren so gerade eben okay. Alles in allem ging es ihr nicht nur gefühlt sehr schlecht. In der Zwischenzeit hatte sie heftige Ödeme im Gesicht und den Füßen bekommen. Sie stand sogar mit einem Bein im Krankenhaus.
Bei einer Nachkontrolle wegen der Einstellung des L-Thyroxins stellte man jetzt sogar eine beginnende Diabetes fest. Vermutlich wegen des starken Übergewichts. Das sie leider bis heute nicht abbauen konnte.
Die o. g. Werte und die gesamte Krankheitsgeschichte zeigten dem Arzt, dass sie unter Hashimoto leidet und es vor gut 20 Jahren begann. Die Symptome waren alle typisch. Ein späteres Ultraschall zeigte das typische Bild.
Erinnert sich jemand an die Symptome einer Meningitis? Anscheinend gibt es eine seltene Form, die eben genau dann auftreten kann, wenn die Werte der Schilddrüse nicht in Ordnung sind.

Man kann also sagen, dass das Kalorienzählen ihr mehr oder weniger das Leben rettete. Sie wäre ansonsten niemals zum Arzt gegangen. Da sie wirklich selbst glaubte, das alles wäre psychisch. Man hatte es ihr ja lange genug eingetrichtert. Ihre Lebensqualität ging innerhalb von zwei Jahren extrem flöten. Sie baute richtig ab. Das konnte ich sehen.
Durch das Kalorienzählen hatte sie nun schwarz auf weiß, dass etwas sichtlich nicht in Ordnung war mit ihrem Stoffwechsel. Zusammen mit sämtlichen Symptomen glaubte man ihr endlich. Nach 20 Jahren!

Das ist ihre Geschichte und in kurz erklärte sie gestern, dass durch das Kalorienzählen ihr Hashimoto nach 20 Jahren erkannt wurde.
Daraufhin gab es einen Shitstorm.
Sie solle aufpassen welche Informationen sie gibt. Man würde sich etwas mehr Sensibilität wünschen.
Aha? Man darf also nicht mehr etwas Positives im Social Media erzählen, das vielleicht sogar das eigene Leben rettete?
Es könnte anderen anzeigen, dass man mit dieser Methode Probleme erkennt oder bei einem Arzt endlich ernst genommen wird? Schrecklich! Ganz schrecklich! So etwas will natürlich keiner lesen.
Anstatt sich mit einer Person zu freuen, dass sie noch lebt, ballerte man sie mit DMs und Kommentaren zu, u. a. gab es Aussagen wie, sie fühle sich wohl als was besseres, weil sie eine Krankheit hat. Diese Person schrieb später noch anderen, sie hätte versucht sich mit Kowalski sehr erwachsen und freundlich zu unterhalten. Ja, stimmt. Solche Aussagen sind sehr erwachsen und überaus freundlich. Nach drei Stunden löschte meine BFF ihren Account, weil sie nicht mehr mit dem Blocken hinterher kam.

Heute Nacht sagte man ihr noch, dass ihre Geschichte anderen suggeriere, dass Kalorienzählen eine sehr gesunde Methode sei abzunehmen. (Von Abnehmen hatte sie bisher nichts geschrieben. Seit 4,5 Jahren hält sie mit dieser Methode ihr Gewicht.) Dabei sei das eine sehr ungesunde Methode, bei der viele Menschen starke psychische Probleme bekämen. Unter ungesund verstehen wir übrigens beide, dass man starke Mangelerscheinungen bekommt.
Wie auch immer. Sie solle des wegen aufhören ihre Geschichte zu erzählen. Die würde andere nur krank machen. Am Besten aber wäre, sie würde sich gänzlich aus Social Media fern halten und den Account zu löschen war die einzig richtige Entscheidung. Denn sie hat ja gelernt nur für sich zu sprechen und über ihre Erfahrungen. Tatsächlich etwas, das immer wieder gesagt wird:”Sprech bitte nur von und über dich selbst!”
Gut, ihre Erfahrungen machen also andere krank. Damit ist der Umkehrschluss in heftig wirklich “Halt dein Maul!” oder noch besser “Verpiss dich aus Social Media! Du machst andere krank!” Sie hat daraufhin sämtliche Apps gelöscht und sich zurück gezogen.

Für mich und uns ist es eine positive Geschichte und ich finde nicht, dass man sie nicht erzählen dürfe. Aber der positive Aspekt daran wird ja lieber vergessen. Die Methode zum Abnehmen wird in den Vordergrund gesetzt und darüber gelästert. Und egal ob gesund oder ungesund, sie rettete ihr sehr zu vermuten das Leben. Sie feiert sogar einen zweiten Geburtstag an dem Tag, an dem wir gemeinsam das Kalorienzählen begannen.
Warum zum Geier müssen Menschen einen Shitstorm losbrechen, dass jemand ihnen unbekanntes drei Stunden lang nur Accounts blocken und den eigenen Account schlussendlich nur noch löschen kann? Anstatt sich mit ihr zu freuen! Weil dieser Jemand sich freut, dass er noch da ist. Weil er sich mit recht freut! Eine Person, die 20 Jahre lang nicht wirklich leben konnte und jetzt aufgrund der Folgeschäden nicht. Eine Person, die des wegen seit 8,5 Monaten in Isolation lebt, da sie zu mehreren Risikogruppen von COVID-19 zählt. Eine Person für die Social Media momentan der gefahrloseste und einzige Weg der Kommunikation war.
Ich freue mich, dass diese Person noch da ist. Ich freue mich, dass ich diese Person kennenlernen durfte. Ich freue mich für sie und mit ihr!

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